Arbeitsrechtlicher Strategietipp des Monats: Arbeitgeber erhält keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – und nun?

Wichtige Unterscheidung zwischen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform und der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Arbeitgeber haben ein erhebliches finanzielles Interesse daran, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nur dann zu leisten, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig ist. Das Vorliegen einer solchen Arbeitsunfähigkeit wird in letzter Zeit von vielen Arbeitgebern zu Recht bezweifelt. Aktuell warnt z.B. die Ärztekammer Nordrhein vor unbekannten Ärzten auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Hintergrund ist, dass Arbeitgebern vermehrt AU-Bescheinigungen vorgelegt werden, die als ausstellende Ärzte“ Personen mit Praxisadressen im Bezirk der Ärztekammer Nordrhein ausweisen. Diese Personen sind jedoch nicht Mitglied der Ärztekammer Nordrhein. Auch das BAG hat in jüngster Zeit den Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Frage gestellt.

Die falsche Strategie

Was aber machen Arbeitgeber, die von Arbeitnehmern, die eine Arbeitsunfähigkeit angezeigt haben, keine oder zweifelhafte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erhalten? Es wäre strategisch falsch, ohne weiteres von einem berechtigten Fernbleiben aufgrund einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Es ist möglich, dass der Arbeitnehmer, der sich auf Arbeitsunfähigkeit beruft, gar nicht arbeitsunfähig ist.

Die richtige Strategie

Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Geld“. Dieser beruht auf einem allgemeinen Grundsatz des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Nach § 611a Abs. 1 Satz BGB ist der Arbeitnehmer aufgrund des geschlossenen Arbeitsvertrages zur Arbeitsleistung verpflichtet. Im Gegenzug hat ihm der Arbeitgeber nach § 611a Abs. 2 BGB für diese Arbeitsleistung die vereinbarte Vergütung zu zahlen.

Arbeitet der Arbeitnehmer nicht, schuldet ihm der Arbeitgeber folglich auch keine Vergütung. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, weil sie ihm nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB unmöglich oder unzumutbar ist. In diesem Fall entfällt der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung der Vergütung nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Diese Grundsätze werden durch zahlreiche Sondervorschriften durchbrochen. Der Arbeitnehmer erhält sein Arbeitsentgelt weiter, obwohl er nicht arbeitet. Eine dieser Sonderregelungen ist § 3 EFG bei Arbeitsunfähigkeit. Unter den dort genannten Voraussetzungen kann der Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlangen. Der Arbeitgeber ist jedoch nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer zu glauben, dass er arbeitsunfähig ist. Hier gilt ein weiterer wichtiger Grundsatz: „Wer etwas beansprucht, muss auch darlegen und im Streitfall beweisen, dass die Voraussetzungen für diesen Anspruch vorliegen.

Das gesetzliche Leistungsverweigerungsrecht

Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz ist der Arbeitgeber berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die von ihm nach dem Gesetz vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt oder die vorgelegte Bescheinigung nicht ordnungsgemäß ist. Der Arbeitgeber muss also – zumindest zunächst – nicht zahlen. Er hat ein Leistungsverweigerungsrecht. Legt der Arbeitnehmer nachträglich eine ordnungsgemäße Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, besteht jedoch die Zahlungspflicht.

Dieses Leistungsverweigerungsrecht besteht jedoch nur, wenn der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform zur Verfügung zu stellen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen.

Wie sich aus § 5 Abs. 1a EFG ergibt, besteht eine solche Verpflichtung jedoch nur für Arbeitnehmer, die privat versichert sind, eine geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten ausüben oder ihre Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt feststellen lassen, der nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Alle anderen Arbeitnehmer können ihren Arbeitgeber auf die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) verweisen.

Kein gesetzliches Leistungsverweigerungsrecht bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Derzeit ist zumindest unklar, ob der Arbeitgeber die Zahlung der Entgeltfortzahlung auch dann verweigern kann, wenn der Arbeitnehmer seinen Pflichten nach § 5 Abs. 1a EFG nicht nachkommt oder der Abruf der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus anderen Gründen, die der Arbeitgeber nicht zu vertreten hat, nicht möglich ist.

Die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFG verweist nur auf § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, der die Vorlagepflicht des Arbeitnehmers regelt, nicht aber auf § 5 Abs. 1a EFG, der die Regelungen zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung enthält.

Und dann?

Erhält der Arbeitgeber trotz entsprechender Bemühungen keine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von der Krankenkasse, kann er für die Tage, an denen der Arbeitnehmer ohne triftigen Grund gefehlt hat, die Entgeltfortzahlung verweigern. Aufgrund des oben genannten Grundsatzes „Arbeitsleistung ohne Entgelt“ muss der Arbeitnehmer dann darlegen und beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig ist bzw. war. Hierzu kann er dann die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform vorlegen, die er trotz der Regelungen zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorsorglich immer noch vom Arzt erhält. Der Arbeitnehmer ist hierzu jedoch nicht verpflichtet.

Legt er diese vor und überzeugt sie den Arbeitgeber, zahlt er das Arbeitsentgelt weiter. Erhält er keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, kann die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall unterbleiben; der Arbeitnehmer müsste dann den entsprechenden Betrag einklagen. Im Gerichtsverfahren müsste er spätestens aus Beweisgründen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Wählt der Arbeitgeber diesen Weg, sollte er aber immer vorher die Krankenkasse informieren, damit diese nicht gegenüber dem Arbeitnehmer in Vorleistung tritt.

Die Initiative des Bundesrats als Hoffnung für Arbeitgeber

Der Bundesrat hat am 26. April 2024 über das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz beraten und zu dem Gesetzentwurf Stellung genommen. Er hält den Gesetzentwurf für nicht weitreichend genug und macht umfangreiche Änderungs- und Ergänzungsvorschläge.

Einer dieser Vorschläge zielt darauf ab, das Leistungsverweigerungsrecht des § 7  EFG zugunsten des Arbeitgebers auch dann eingreifen zu lassen, wenn dieser keine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erhält (BR-Ds 129/24 vom 26.4.2024 Rz. 26).

Letztlich bleibt es aber bei der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers für die von ihm behauptete Arbeitsunfähigkeit. Ärzte, die ungerechtfertigte oder falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen, schaden damit nicht nur dem konkret betroffenen Arbeitgeber, sondern allen Arbeitnehmern. Man wird sich bald auf keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr verlassen können, wenn sich diese Tendenzen verstärken.